Ausstellung vom 31.7.2025 bis einschließlich 11.8.2025 - Öffnungszeiten: Montags bis Samstags von 14 Uhr bis 19 Uhr - Vernissage am Samstag, den 2.8.2025 von 16 Uhr bis 21 Uhr

von Thorsten Kirsch
„The Seventh Day of Artistic Intelligence (AI)“ – seit 2023
Seit den frühen 1990er-Jahren beschäftige ich mich künstlerisch mit Darstellungen von Schädeln, Körperfragmenten und der Anatomie des Menschen – zunächst in klassischen Techniken wie Radierung, Collage, Siebdruck und Zeichnung. Mit dem Einzug Künstlicher Intelligenz in kreative Softwaretools (Photoshop & Co., seit Mai 2023) hat sich mein Arbeiten mit digitalen Bildprozessen jedoch radikal verändert. Die daraus resultierenden Umwälzungen und neuen bildgebenden Verfahren fordern meine künstlerische Praxis auf unerwartete Weise heraus.
Unter dem Arbeitstitel „The seventh day of artificial intelligence“ entstehen seit zwei Jahren Werke, die mit gesetzten Anweisungen, Claims und Slogans in Frakturschrift (Tannenberg) arbeiten. Diese Textelemente agieren als Platzhalter innerhalb der Prompt-Logik und suggerieren dem Rezipienten mögliche Lesarten. In der Kulturgeschichte bildender Kunst war die gezielte Narrativierung durch Symbolik, Allegorie und Komposition stets Teil eines wissensbasierten Ausdrucks. Künstler*innen formten ihre Bildwelten mit einem Bewusstsein für Kontexte, Traditionen und Deutungsräume – in Kreuzigungsdarstellungen etwa folgen wir noch heute weitgehend unbewusst einer etablierten ikonografischen Grammatik.
Im Unterschied dazu bleibt die Bildproduktion durch KI eine Form der statistischen Rekombination. Sie generiert Oberflächenästhetiken aus massenhaft vorliegenden Bilddaten, ohne qualitative Auswahl oder kulturelles Bewusstsein. Die KI ist kontaminiert von visuellen Klischees – ein Umstand, der durch zahlreiche Studien zu Rassendarstellungen, Framing und Othering längst belegt ist. Ihre Methoden gleichen einem digitalen Raubzug durch die Archive menschlicher Kreativität – ein Netzschleppverfahren, das auf maximale Datenverfügbarkeit und algorithmische Effizienz setzt.
Die visuelle Sprache der KI folgt bevorzugt populären Genres wie Steampunk, Fantasy, Heavy Metal oder cineastisch aufgeladenen Mittelalterwelten. Ihre Bildwelten sind geschichtet, gelayert, technisch homogenisiert – zusammengesetzt aus leicht verarbeitbaren Versatzstücken. Dies führt zu einer visuellen Gleichförmigkeit, einem Belohnungssystem, das Massengeschmack bedient, statt Individualität zu fördern. Die Illusion von Kreativität wird dabei nicht durch künstlerische Autonomie getragen, sondern durch Rückkopplung und algorithmische Optimierung gespeist.
Im Gegensatz dazu ist der Mensch ein autonomes, erzählendes Wesen – ein Agens. Für mich bleibt die Zeichnung das primäre Denk- und Planungsinstrument. Sie eröffnet einen reflexiven Raum, in dem Entscheidungen sichtbar, materielle Spuren nachvollziehbar und Zeit erfahrbar werden. Solche Prozesse sind nicht automatisierbar – und lassen sich durch KI nicht abbilden. Die Resultate generativer Tools erheben die Nutzer*innen mühelos zu „Creators“, aber ohne künstlerische Verantwortung, ohne Auseinandersetzung mit Stofflichkeit, Kontext oder historischer Bildgrammatik.
Ich spüre eine zunehmende Übersättigung. Die vermeintlich kreative Tätigkeit mit KI gleicht einer Sucht nach Belohnung ohne Anstrengung. Was bedeutet es noch, zu arbeiten, wenn jedes Bild auf Knopfdruck entsteht? Welche Funktionen erfüllen diese Bilder? Welche Kontrollverluste, Sinnsuche oder Verantwortung drücken sich in ihnen aus? Die meisten Entwicklerinnen und Nutzerinnen solcher Tools verfügen über kein bildsprachliches Fundament – sie reproduzieren paraphrasierend, was bereits in endlosen Varianten existiert: Manierismen, Horror-Versatzstücke, stilistische Morphologien ohne originäre Idee.
Kritische Prompts werden blockiert, Bildinhalte zensiert, Feedbackschleifen algorithmisch gesteuert. Die Resultate unterliegen häufig manipulativen Designmustern („Dark Patterns“), die im Hintergrund eine ästhetische Normierung betreiben. Das wirft zentrale Fragen auf: Wer kontrolliert die ästhetischen Codes dieser Technologien? Wer programmiert den Schein von unbegrenzter Kreativität, während kritische Inhalte unterdrückt werden?
Das vielzitierte „Morphing“ ist kein Produkt der KI, sondern ein uraltes künstlerisches Verfahren: Seit Ovids Metamorphosen erzählen Menschen vom Wandel der Gestalt, vom Übergang einer Form in die nächste. Die KI aber kennt keine Metapher, kein Dazwischen, keine Ambivalenz. Sie ersetzt nicht den schöpferischen Prozess, sondern konsumiert ihn.
Ist die KI eine gigantische Sinnsuchmaschine – oder nur ein symmetrisch glänzendes Spiegelsystem unserer kollektiven Imagination? „Ich prompte, also bin ich“ – ist das der neue Cogito? Ist KI ein entstofflichtes Suchtmittel? Eine Plattform, die kreative Arbeit simuliert, aber keine Verantwortung übernimmt?
Ein Bild, das für mich künstlerisch Bestand haben will, muss sich selbst widersprechen können. Es soll Reibung erzeugen, Ambivalenz, Widerhaken – etwas, das den Blick herausfordert. Die KI dagegen produziert vor allem glatte Oberfläche. Doch Kunst beginnt dort, wo Uneindeutigkeit möglich ist.
Thorsten Kirsch, September 2024
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